Consultingstories und die Realität im Projekt

Ich möchte hier ein Thema aufgreifen, dass mir schon lange unter den Nägeln brennt: Die feinen Consultingstories und die Realität im Projektmanagement. Wie oft wird eigentlich wirklich das umgesetzt, was vorher im Whitepaper so eindrucksvoll beschrieben wurde? Consultingstories mit der Realität verglichen.

Consultingstories

Es scheint ein bisschen wie das Credo meines damaligen Fahrlehrers, ich bin der Einzige, der richtig gut autofahren kann und alle Anderen machen Fehler. Nur das ich das Consultingunternehmen und die anderen Autofahrer alle anderen Unternehmen sind. Man kennt alle Fehler, man macht deshalb alles besser. Doch sind nicht auf der anderen Seite genau die versprochenen Dinge um die es geht, genau die Dinge, die immer wieder in Projekten schief laufen? Frühzeitige und umfassende Kommunikation, alle Stakeholder einbinden, die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort usw.

Wer in diesem Blog bereits andere Artikel gelesen hat mag sich jetzt denken „das schreibt Herr Kahmann doch selber in seinen Artikeln“. Stimmt! Zu abstrakten Themen benötigt man durchaus erst einmal ein fiktives Szenario, welches eben zumeist möglichst optimistisch und wiederstandsfrei skizziert wird. Doch spielt sich mir selber der Gedanke, dass man als Leser doch viel lieber Erfahrungswerte lesen möchte. Und mit Erfahrungswerten meine ich nicht die schicken Stories mancher Consultingunternehmen und Referenzberichten, welche nachher die guten Seiten und die Mehrwerte der erreichten Projektinhalte zu verkaufen vermag. Ist nicht beispielsweise ein Fussballvideo, in dem Christiano Ronaldo auch mal daneben schießt motivierender mit dem Fussballtraining weiter zu machen anstatt sich den perfekten Nike Spot mit den besten Tricks, welche alle 100 Versuche klappen anzusehen?

All die Whitepaper, Successstories und Referenztexte skizzieren genau dieses Szenario eines jeden 100. Versuchs. So wird dein Projekt X mit uns auch werden. Wir machen es anders, wir sind besser. 30 Jahre Erfahrung, Goldpartner, 100 Projekte, Referenzen der Global 500 Companies, Olympiapartner, individuell auf meine Bedürfnisse zugeschnitten und so weiter und so fort.

Dann beginnt das Projekt, der benannte Projektleiter geht zu Projektbeginn in Urlaub, die Vertretung bekommt keine Reiseanträge genehmigt, man beginnt per Telko. Ein abzulieferndes Projektkonzept scheint zum ersten mal in der Unternehmensgeschichte zu entstehen, die Kommunikation der Projektergebnisse ist unklar, Meilensteine werden beidseitig falsch interpretiert, Budgets müssen erhöht werden, Change Requests werden gestellt.

Die Reihe solcher „Projektissues der Realität“ ließe sich endlos lang fortführen. Die Prüfung der Consultingstories hält der Realität jedenfalls nicht Stand. Doch genau darüber würde ich zu gerne mehr lesen. Was gäbe es Besseres als vor einer Projektdurchführung nachlesen zu können, was bei anderen alles schief gegangen ist. Die Formulierung muss ja nicht gleich in Fingerpointing enden. Viel mehr steht noch die Chance bereit, meine Lernfähigkeit und Dynamik, auf Schwierigkeiten zu reagieren, unter Beweis zu stellen.

Wettbewerb belebt das Geschäft, das steht außer Frage. Doch würde nicht ein offenerer Umgang mit Erfahrungswerten, ja eben auch negativen Erfahrungswerten einen überaus großen Mehrwert für die Allgemeinheit (hier IT Community) erzeugen? Würde man sich nur ein kleines Stück weniger zwanghaft um eine, ja beinah schon ausnahmslos weiße Weste und die damit verbundene Reputation gegenüber dem Markt, dem Business oder wem auch immer scheren, stünden die Möglichkeiten einer öffentlich nutzbaren „Lessons Learned Kultur“ nichts mehr im Wege.

Das eine offene und ehrliche Formulierung unter Aspekten der öffentlichen Wahrnehmung und Konkurrenzsituation schwierig sein kann steht außer Frage. Dennoch wünsche ich mir mehr pragmatische, problemdarlegende und lösungsorientierte Berichte über das, was sich in Wirklichkeit ereignet hat und woraus andere für ihr bevorstehendes Projekt noch etwas lernen können. Schicke Consultingstories gibt es schließlich bereits genug.

Einen Anfang habe ich mal mit dem Bericht über die Einführung von Office 365 gemacht.

Jan Kahmann

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